Zwischen Kultur und Natur – Die Friedhöfe an der Bergmannstraße


Die vier evangelischen Friedhöfe an der Bergmannstraße sind eine grüne Oase mitten in Berlin und vereinen Artenreichtum mit einem reichen kulturellen Erbe.

Geschichte

Das christliche Bestattungswesen entwickelte sich aus biblisch-israelischen und antiken Traditionen. Wegen des Glaubens an die leibliche Auferstehung wurden Leichenverbrennungen als heidnisch abgelehnt und Erdbestattungen bevorzugt. Der Heiligenkult mit der Reliquienverehrung löste in vielen Gläubigen den Wunsch aus, in der Nähe dieser Gebeine begraben zu werden. Grabplätze direkt in der Kirche waren repräsentativ und dienten als Einnahmequelle der Kirchen. Der Großteil der Gläubigen wurde in Gemeinschaftsgräbern auf dem Kirchhof begraben.

Die Reformation veranlasste einen Wandel der Friedhofskultur, weg von den Toten und hin zu den Bedürfnissen der Hinterbliebenen. Der Friedhof sollte zum Ort des Trostes werden, wie es Martin Luther 1527 in seiner Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ anleitet. Dass das Begräbnis aus hygienischen Gründen draußen vor der Stadt stattfinden kann, wird dort ebenfalls vorgegriffen.

Es dauerte noch bis nach der Aufklärung, bis dieser rationalistische Aspekt sich durchsetzte, als besonders die Gemeinschaftsgräber, die ständig aufgegraben und wieder zugeschüttet wurden, immer größere Probleme verursachten. So sind Fälle bekannt, in denen die Gase aus dem berüchtigten Pariser Stadtfriedhof „Cimetière des Innocents“ Menschen im umliegenden Viertel töteten. (https://de.wikipedia.org/wiki/Cimeti%C3%A8re_des_Innocents# Aufgerufen am 07.05.2025)

Friedhofsanlage aus dem 19. Jahrhundert


Repräsentatives Erbbegräbnis Paula Richter (*1868 +1921) an der Friedhofsmauer des Alten Luisenstädtischen Friedhofs. Hinter der Mauer befindet sich eine Sportanlage.

Mit dem frühen 19. Jahrhundert verlagerten sich Friedhöfe dann außerhalb der Stadt. 1794 wurde in Berlin das Allgemeine Preußische Landrecht erlassen, das die Bestattung außerhalb von bebauten Flächen zur Vorschrift machte.

Die vier evangelischen Friedhöfe an der Bergmannstraße folgen dieser Richtlinie. Heute finden sich auf ihnen die Gräber zahlreicher bedeutender Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Friedrich Schleiermacher, Adolph von Menzel, Theodor Mommsen oder Gustav Stresemann.


Die Säulenarchitektur eines ehemaligen Mausoleums dient als Durchgang zwischen Dreifaltigkeits- und Friedrichswerderschem Kirchhof. Alle Friedhöfe sind durch Durchbrüche miteinander verbunden.


Zwei Gräber rechts neben dem Durchbruch auf dem Dreifaltigkeitskirchhof II befindet sich das Grab des Architekten Martin Gropius, gestaltet nach eigenem Entwurf

Der älteste Friedhof, der Dreifaltigkeitskirchhof II, wurde im Jahr 1825 angelegt. Die Stadt Berlin war ursprünglich nur als Silhouette von ihm aus erkennbar. Sechs Jahre später folgte der aktuell größte Gemeindefriedhof Berlins, der Alte Luisenstädter Friedhof. Der Friedhof der Friedrichswerderschen Gemeinde ist aus dem Jahr 1844 und umfasst heute eine Fläche von 30.800 Quadratmetern. Die Kirche in Berlin-Mitte wurde von Karl Friedrich Schinkel gebaut und gehört heute zur Alten Nationalgalerie. Am 2. Juni 1852 wurde der Friedhof IV der Jerusalems- und Neuen Kirche eingeweiht.

Neu angelegt wurden Reihengräber. Geometrisch geordnet und durch rasterförmig aneinandergereihte Wege getrennt, waren sie ästhetischer Ausdruck der sich durchsetzenden Rationalität und einer zunehmend demokratischen Gesinnung.

Dem Ideal der Gleichheit entgegengesetzt entwickelte sich dennoch auf den Friedhöfen eine Hierarchie. An zentralen Wegen und den Friedhofsmauern finden sich noch heute die typischen, repräsentativen Erbbegräbnisstätten. Am Endpunkt eines der drei Hauptwege des Dreifaltigkeitskirchhofes II befindet sich z.B. das nach einem Entwurf von Schinkel gebaute Grabdenkmal für die Fürstin von der Osten-Sacken.

Die Friedhofskapelle und das Verwalterhaus des Dreifaltigkeitskirchhofes II werden heute von einem Bestattungshaus genutzt. Auch auf dem Friedrichswerderschen Kirchhof und dem Alten Luisenstädter Friedhof befindet sich jeweils eine Kapelle, allerdings wird nur die auf dem Alten Luisenstädter Friedhof als solche genutzt.

Revolution in der Friedhofskultur

Der Grundstein für eine neue Sepulkralkultur (Sepulcrum ist lateinisch für Grab) ist in der französischen Revolution gelegt. Der Citoyen, als aktiv den Staat gestaltender Bürger, „definiert [sich] durch den Gebrauch materieller Güter, durch den Bezug auf ideelle Werte, durch die Benutzung kultureller Verhaltensmuster, die zusammengenommen ein lebensweltliches Ensemble bilden.“₁ Statt auf christliche Werte bezog sich dieser neue bürgerliche Habitus auf eine allgemein-menschliche Moral.


Im Rückgriff auf stark emotionsgeladene Bilder der Antike zeigte sich das neue bürgerliche Selbstverständnis. Es ist dabei fast immer die Frau, die die Emotionalität verkörpert.

Heute ist ein Großteil der zahlreichen Erbbegräbnisse nicht mehr belegt. Dabei stehen nur Überlegungen zum Denkmalschutz und die Kosten für eine 20 jährige Miete des Liegeplatzes einer Neubelegung im Wege. Die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gemeinde ist nicht mehr nötig, auch nicht zur evangelischen Konzession.

Die neue Rolle der Natur

Die Profanisierung des Todes und das zunehmende Bevölkerungswachstum haben neue Bestattungsformen ermöglicht. So öffnete sich die Kirche in den 1960er Jahren Feuerbestattungen, die bereits um 1900 vom Staat anerkannt wurden. Feuerbestattungen machen heute mit 78% einen Großteil der Begräbnisse aus. Da auch die Sterberate sinkt, hat sich „der Flächenbedarf für Begräbnisse seit 1980 halbiert“

Raum, der auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße gezielt frei gelassen und nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht wird. Auf diesen Flächen wachsen Wildblumen, abgestorbene Bäume bieten Vögeln Brut- und Nistplatz und auf Stühlen und Bänken erholen sich Menschen.

In der Entstehungszeit der Friedhöfe im 19. Jahrhundert ist die Natur schon Ort für Utopie. Der Widerspruch zwischen rationaler Ordnung auf der einen und Emotionalität auf der anderen Seite führte zu Spannungen. Deren Lösung suchte das Bürgertum in der Natur. Heute sind Überlegungen zum Umweltschutz in der Mitte der Gesellschaft verankert.

Die Friedhöfe an der Bergmannstraße sind vier von insgesamt 222 Friedhöfen in Berlin. Die Senatsverwaltung bemerkt: „Zusammen sind das mehr als 1.000 Hektar Grün. Ihre Entstehung reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Das macht sie zu einem kulturellen Archiv – und zu wertvollen Refugien für Tiere und Pflanzen.“³


Kirschbaum in voller Blüte neben einem der Durchbrüche zwischen den Friedhöfen.

Quellen:
₁ Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800 – Kultur als symbolische Praxis, in: Jürgen Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. 3 Bde. München 1988. Bd. 3 S. 18.
² https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Bestattungswesen#cite_note-Bestatterinnung-2 Entwicklungen seit 1900 (Aufgerufen am 10.06.2025)
³ https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/biologische-vielfalt/berliner-beispiele/urbane-vielfalt/friedhoefe/ (Aufgerufen am 10.06.2025)

Text und Fotos: F. Wirthmann