Kreative Nachhaltigkeit – Die Prinzessinnengärten

Der dritte Teil dieser Serie stellt ein vielfach interessantes und auch sehr komplexes Projekt dar: die Prinzessinnengärten. Direkt am Moritzplatz gelegen wurde im Juni 2009 eine seit dem Zweiten Weltkrieg mehr oder minder brachliegende Fläche mit großer Beteiligung der lokalen Nachbarschaft „entrümpelt“ und somit Platz für die ersten Hochbeete geschaffen. Ein urbaner Garten sollte entstehen, ohne dass Art und Dauer der Nutzung bereits überschaubar waren.

Bezugnehmend auf urbane Gärten in Kuba, wo sie tatsächlich zur Sicherung der Versorgung der umgebenden Nachbarschaft notwendig sind, sollte dieses Konzept nach Berlin „übersetzt“ werden. Jedoch nicht eins zu eins, da in Berlin zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung ausreichend andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen und außerdem eine urbane Landwirtschaft gänzlich unrentabel wäre. Es sollte eher das soziale Konzept transferiert werden, denn z. B. in Havanna sind diese urbanen Gärten oder Landwirtschaften auch Orte der Kommunikation, der Beziehungspflege, des Informationsaustausches und des Erlebens von Gemeinschaft.

So haben sich die Prinzessinnengärten von Anfang an als Ort der Begegnung und für die Städter sowie ihre Kinder auch als Erlebnisort verstanden und etabliert.

Unter großer ehrenamtlicher Beteiligung – hiermit sind auch Praktikanten und junge Leute gemeint, die den Bundesfreiwilligendienst leisten oder ein freiwilliges ökologisches Jahr absolvieren – konnte über die Jahre hinweg ein Ort geschaffen werden, der in erster Linie ein Umweltbildungsort und ein Raum für Partizipation und Erleben ist. So werden hier einstündige Führungen gegeben, die über Geschichte, Struktur, Beteiligungsmöglichkeiten und natürlich auch über die unzähligen Projekte berichten. Das Publikum für die Führungen ist bunt gemischt, national und international, Berliner Gruppen aus der Sozialarbeit, amerikanische Studenten für Ökologie und Nachhaltigkeit…

Besonders Führungen und Workshops für Kinder und Jugendliche sind ein großes Anliegen. Es kommen von Kitagruppen über jüngere Schulklassen bis zu den Abiturstufen alle Jahrgänge. Die Kinder können hier kleine Projekte erleben und mitgestalten, wie z .B. Kräuterbutter mit Kräutern aus dem Garten herstellen. Außerdem können sie „live“ die natürlichen ökologischen Kreisläufe mitbekommen – von der Aussaat bis zur Ernte. Auch die Biodiversität soll demonstriert werden. Kannten die meisten Besucher desGartens bisher nur wenige Kartoffel- oder Tomatensorten, so sehen sie hier über 20 verschiedene Sorten von Kartoffeln bzw. 60 bis 80 Sorten von Tomaten.

Auch stehen die öffentlichen Gartenarbeitstage unter dem Leitmotiv der Partizipation und des Erlebens. An zwei Tagen in der Woche können Menschen aus der Nachbarschaft aber auch Berlinbesucher gemeinschaftlich gärtnern. Es ist faszinierend, wie aus Fremden über das gemeinschaftliche Gärtnern schnell intensiv miteinander kommunizierende und sich austauschende „Freunde“ werden.
Die hausinterne Gastronomie und die Bar vervollständigen das angenehme Verweilgefühl im Garten. Sie dienen aber auch der Aufrechterhaltung der relativen finanziellen Unabhängigkeit.

Da sich das Projekt Prinzessinnengärten selbst explizit als Umweltbildungs- und Erlebnisort betrachtet, in dem gelernt, gestaunt und verstanden werden soll und die Schwerpunkte auf Diversität und Nachhaltigkeit liegen, wird immer wieder irgendwie bei einem Spaziergang durch den Garten sichtbar.

Großes Erstaunen bei den Besuchern löst z. B. der Hinweis auf die Tatsache aus, dass nicht einmal eine einzige Person über einen Zeitraum von einem Jahr mit all dem „Grünzeug“ ernährt werden könnte, das man hier im Garten findet. Es gibt im Garten schätzungsweise 900 Quadratmeter Anbaufläche, der durchschnittliche Westeuropäer braucht aber 2.500 Quadratmeter Anbaufläche. Die nachhaltigkeitsrelevante Information hierzu beruht auf der Tatsache, dass in Deutschland ungefähr 50 Prozent der Lebensmittel weggeworfen werden. Solche aber auch viele andere Informationen bekommen die Besucher, die den Garten nicht „konsumieren“, sondern erleben möchten.

Ein wunderschönes Projekt zum Zeigen und Verdeutlichen von Zusammenhängen zwischen Konsum- und Verbraucherkultur, Monokultur in der Landwirtschaft, dem Schwinden von Diversität und letztlich auch dem Aussterben von Tieren sind die Bienenstöcke im Garten. Sie sind zwar kein garteninternes Projekt, da sie von Imkern gebracht wurden, jedoch waren sie von Anfang an willkommen. Schließlich kann man die gesamte aufklärende und sensibilisierende Arbeit des Gartens an den Bienen hervorragend komprimiert zeigen.

Die Biene steht unter den Nutztieren der Menschen nach Schwein und Rind an dritter Stelle. Dies könnte sich aufgrund des massenhaften Sterbens der Bienenvölker möglicherweise bald ändern. Gründe für dieses Sterben sind vielfältig, als Hauptverantwortlicher wird sehr gerne die Varroamilbe (ursprünglich nicht aus Europa stammend) genannt. Genau genommen ist es wohl auch jene Milbe, die die Bienen letztendlich tötet. Aber dass das Immunsystem der Biene derart schwach geworden ist und eben aufgrund dessen auch keine Resistenz gegen die Varroamilbe besteht, verdanken diese Tiere einer ganz anderen Entwicklung. Die „alles und immer verfügbar haben wollende“ Mentalität und dies auch noch in zigfacher Ausführung, Form und Variabilität führt dazu, dass sich entsprechende Industrien anpassen und somit die Art des Wirtschaftens, Anbauens und Herstellens katalysieren, um den vermeintlichen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Nur ein kurzes Beispiel: die brandenburgische Landwirtschaft ist gänzlich auf monokulturellen Anbau ausgelegt und gedüngt wird mit chemischen Keulen. Hier haben die Bienen ein geringes Maß an Diversität in der Nahrungssuche und werden zudem mit den chemischen Düngemitteln belästigt. Im Gegensatz dazu kommt man bei der Biodiversitätsmessung in Prinzessinnengärten auf ungefähr 500 Arten und Sorten. Zusätzlich haben die Prinzessinnengärten-Bienen die Möglichkeit bei einem ungefähren Flugradius von sechs bis acht Kilometern in den Tiergarten zu fliegen oder zu den Blumenkästen auf den Balkonen. Diese Stadtbienen können aufgrund der Ernährung also ein viel wehrhafteres Immunsystem ausbilden. Hinzu kommt, dass den Bienen in Prinzessinnengärten ein Drittel ihres Honigs gelassen wird. Einerseits für ihre eigene Ernährung, andererseits zur Abwehr von Parasiten. Das aus Honig gewonnenes „Abfallprodukt“ Propolis gilt als das stärkste natürliche Antibiotikum. Die in Prinzessinnengärten gehaltenen Stadtbienen sind bisher nicht eingegangen. Selbst wenn die Bienen durch die Varroamilben befallen werden, gibt es immer noch die Möglichkeit, den inneren Bau mit Ameisensäure zu überziehen. Stellt sich die Frage, warum dies nie geschieht? Ohnehin wird in der konventionellen ländlichen Imkerei sehr viel auf Massenproduktion geachtet, hier also wieder ein kleiner Hinweis auf unsere Verbrauchgewohnheiten.

Die finale Aussage des Bienenprojekts im Garten ist, dass es den Stadtbienen deutlich besser geht als den Landbienen. Aber ganz sicher nicht, weil es die Bienen in der Stadt so gut haben, sondern die Bedingungen auf dem Land so furchtbar sind.

Die Prinzessinnengärten sind von April bis Oktober für alle geöffnet. Partizipation ist jederzeit möglich und auch gewünscht. Das bloße „Konsumieren“ im Garten wird nicht gern gesehen. So hat der Garten bis jetzt auch das Auflisten in Reiseführern konsequent verweigert. Hier handelt es sich viel mehr um den Versuch, Menschen in den vielfältigsten Themenbereichen – Umweltschutz und Nachhaltigkeit betreffend – Inputs zu geben, in der Hoffnung, dass sie behalten, umgesetzt und weitergegeben werden.

Nach knapp zehn Jahren seines Bestehens strahlt dieses Projekt mindestens berlinweit und rein vom Bekanntheitsgrad her noch sehr viel weiter aus und ist vielfältig vernetzt. So findet man an vielen verschiedenen Orten in Berlin wie z. B. auf den Firmeninnenhöfen oder -dachterrassen, in den Schulen, Kitas und Geflüchtetenunterkünften sowie in Galerien und Museen (darunter auch die Berlinische Galerie oder auch die Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt) „kleine Kopien“, die vom Gartenbau – einem Teilprojekt der Prinzessinnengärten – errichtet wurden und mit den Mitarbeitern bzw. Bewohnern der jeweiligen Einrichtung gemeinsam gepflegt werden. Im Ortsteil Kreuzberg selbst sind die Prinzessinnengärten fest etabliert. Rührend aber auch die häufig ausdrücklich vorgetragenen Bitten von Berlinern und Berlinbesuchern , dass dieser Ort unbedingt erhalten bleiben muss.

Fotos & Text: Christian Eitz