Friedhöfe an der Bergmannstraße – Friedhof als Biotop

Japanische Blütenkirsche (Prunus serrulata)

Die vier Friedhöfe an der Bergmannstraße fassen eine Fläche von 20,7 Hektar und gelten als „artenreichste Grünfläche in Kreuzberg.“₁ Entlang der Mauern finden sich jahrhundertealte Erbbegräbnisse, die sich im Gesamtbild des Friedhofs mit offenen Freiflächen abwechseln, auf denen Bäume locker verteilt stehen. Alleen gliedern den Aufbau, marode Mausoleen schließen ihn ab. Aufgrund dieser einzigartigen Bedingungen gelten Friedhöfe als besonders strukturreich, was ein wichtiger Indikator für die Qualität eines Biotops ist. Es gilt: je strukturreicher, je größer, je älter und je weniger isoliert eine Biotopfläche ist, umso besser für die biologische Vielfalt.

Am Grab von Paul Köthner (+1902) wächst verwilderter Rhododendron, Farn, Zwergmistel, Efeu und eine Eibe. In Berlin kommt fast die Hälfte aller Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands vor.

Berlin ist eine der grünsten Großstädte des Kontinents, mit einem Anteil von 44% Grün- oder Wasserfläche an der Gesamtfläche der Stadt. Davon sind 11.000 Hektar öffentliche Grünflächen.² Diese Grünflächen umfassen Parks, Gärten, Spielplätze, Friedhöfe, Straßenbegleitgrün und Kleingärten. Rund 10% entfallen auf Friedhöfe. Die Friedhöfe an der Bergmannstraße sind dabei besonders, u.a. weil sie direkt neben einer großen Sportanlage und dem Volkspark Hasenheide in Neukölln liegen.

Für die umliegenden Viertel hat der Friedhof eine wichtige Funktion als Kaltluftentstehungsgebiet. Deutschlandweit sind mehr als 12 Millionen Menschen an ihrem Wohnort in Städten extremer Hitze ausgesetzt. Dabei nehmen Hitzewellen mit Temperaturen über 30°C am Tag immer weiter zu.³ Beton, Glas und Asphalt speichern auch nachts die Wärme des Sonnenlichtes und weisen Regen ab, während grün-blaue Infrastruktur abkühlt, weil bei der Verdunstung von Wasser der umgebenden Luft Energie in Form von Wärme entzogen wird. Die entstehende Kaltluft wird mit dem Wind in die umliegenden Straßen transportiert.

Manche Pflanzenarten profitieren davon, dass das Stadtklima im Jahresmittel 1,5-2°C wärmer ist gegenüber dem Umland.₄ Auch heimische Arten, die in überdüngten Böden keine geeigneten Bedingungen finden, kommen in der Stadt vor.

Die Artenvielfalt in der Stadt ist weitaus üppiger als auf dem Land. Während ein natürlicher Wald etwa 10-20 Baumarten beheimatet, „dürften in den urbanen Böden Mitteleuropas an die 800 Baumarten gedeihen“, wie Bernhard Kegel im Buch Tiere in der Stadt feststellt. Zum Vergleich: in den natürlichen Wäldern Mitteleuropas kommen nur etwa 40 Baumarten vor.₅ Besonders Friedhöfe weisen häufig eine hohe Biodiversität auf.


Rosa Trompetenbaum. Zur Identifikation der Pflanzen habe ich die App „PictureThis“ benutzt, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz meine Fotos mit einer Datenbank vergleicht und mir verschiedene Ergebnisse präsentiert, aus denen ich das passende auswählen kann.


Die Japanische Kerrie (Kerria japonica), auch Goldröschen oder Ranunkelstrauch genannt, gehört zur Gattung der Rosengewächsen und stammt ursprünglich aus China.

Rund die Hälfte der Pflanzenarten in der Stadt ist eingeführt. Wer sein Grab ökologisch gestalten möchte, sollte aber in erster Linie auf einheimische Pflanzen setzen. Akeleien und Anemonen sind Beispiele für hübsche Blühpflanzen, die sich neben den hier vorkommenden Insekten in Jahrtausende bis Jahrmillionen langer Evolution entwickelt haben. Als Hahnfußgewächse produzieren sie Gift, gegen das insbesondere Feuerfalterarten der Gattung Lycaena wie der Große Feuerfalter (Lycaena dispar) immun sind. Der Große Feuerfalter steht in Berlin unter besonderem Schutz.
Andere Schmetterlingsarten sind an Brennnesseln angepasst. Die Raupe des weit verbreitete Tagpfauenauge (Inachis io) ernährt sich fast ausschließlich von Brennnesseln. Der Admiral (Vanessa atalanta) baut im Raupenstadium sein Nest in den stacheligen Blättern der Pflanze.

Extensive Pflegekonzepte überlassen die Natur weitgehend sich selbst. Auf dem über 90.000m² großen Alten Luisenstädter Friedhof werden Wiesen deshalb wild wachsen gelassen und nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht. Auf ihnen und an den Gräbern finden nun nicht nur Brennnesseln Platz, sondern auch „seltene und gefährdete Arten der Trockenrasen- und Frischwiesen wie Grasnelken und Frühlingsfingerkraut, Wiesen-Glockenblume und Margerite“, wie einer der sieben vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) aufgestellten Infotafeln entnommen werden kann. Im Blütenstaub dieser Blumen baden Bienen mehrerer Bienenvölker – Insekten, die anderen Lebewesen, z.B. Vögeln, wiederum als Nahrungsquelle dienen.


Bienenstöcke auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof. Offene Freiflächen und lose verteilte Bäume vermitteln eine Atmosphäre der Naturnähe.

Während die meisten Innenstadtbereiche auf das Vorkommen einiger weniger Vogelarten, wie Tauben, Spatzen und Krähen beschränkt sind, finden viele verschiedene Vögel auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße eine Heimat. Laut der Infotafeln vor Ort brüten etwa 30 Vogelarten: der Buchfink, der Girlitz oder die Singdrossel in Nestern frei im Baum. Kohl- und Blaumeisen, der Star, Haussperlinge und Kleiber bewohnen eine der etwa 80 natürlichen Baumhöhlen. Rund ein Viertel nistet in Gebüschen, wie die großflächigen Hainbuchenhecken und vielfältigen Wuchsformen der Eibe. Die meisten Stadtvogelarten in Grünflächen brauchen eine minimale Größe von 10 bis 35 Hektar Fläche um ein langfristiges Bewohnen realistisch zu machen.₆


Vögel finden in Baumhöhlen und auf abgestorbenen Bäumen Nist- und Brutplätze. Der NABU betont wie wichtig für den Artenschutz die gleichbleibende Konsistenz der Friedhöfe ist. So haben auch störungsempfindliche Tiere wie Habichte und Waldohreulen auf den jahrhundertealten Friedhöfen ihren Lebensraum.

Mit seinen umfassenden Pflegekonzepten konzentriert der Friedhof eine Vielzahl an Biotopen und Tier- und Pflanzenarten. Der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte, Hauptverwaltung Süd, kooperiert als Friedhofsverwaltung der Friedhöfe an der Bergmannstraße mit dem NABU mit dem Ziel der naturverträglichen Pflege.₇ Die Friedhöfe sind als Gartendenkmal eingestuft, was Förderung z.B. aus den staatlichen Lotto Einnahmen ermöglicht.


Die Friedhöfe an der Bergmannstraße beheimaten etwa 350 verschiedene Farn- und Blütenpflanzen, darunter verwilderte Zierpflanzen, vor allem Zwiebelgewächse wie Tulpen, Schneeglöckchen, Krokusse und Gelbsterne.


Hänge-Birke (Betula pendula) oder auch Trauerbirke in Blüte auf dem Friedrichswerderschen Friedhof. Die Bäume auf dem Friedhof stammen hauptsächlich aus der Nachkriegszeit.

Naturschutz und ökologisches Handeln ist ein wichtiges Anliegen unserer Zeit. Das spiegelt sich auch in den Flächennutzungsplänen der Stadt Berlin. Diese muss konkurrierende Interessen, z.B. nach Büroflächen und Wohnraum, zusammen bringen und dabei auch die Qualität dieses Wohnraums berücksichtigen. Daraus erwächst die Aufgabe Friedhöfe als Biotop der Artenvielfalt und Ort für Naherholung zu erhalten, damit möglichst viele Menschen von ihrem Reichtum profitieren können.


Eichhörnchen auf dem Alten Luisenstädter Friedhof

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Friedh%C3%B6fe_an_der_Bergmannstra%C3%9Fe
2 https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/stadtgruen/daten-und-fakten/gruenflaechen-gruenanlagen/
3 Umweltbundesamt: Hitzebelastung & Stadtklima im jährlichen Bericht zum Klimawandel 2023, https://www.umweltbundesamt.de
4 Umweltbundesamt: „Stadtklima im Klimawandel“, 2022, https://www.umweltbundesamt.de
5 KEGEL BERNHARD (2013). P. 223 In Tiere in der Stadt Eine Naturgeschichte. DuMont Buchverlag, Köln
6 Ebenda
7 https://berlin.nabu.de/wir-ueber-uns/bezirksgruppen/friedrichshain-kreuzberg/projekte/26574.html abgerufen am 15.07.2025

Text und Fotos: F. Wirthmann