Der Rudolfplatz

Von weitem sichtbar weist der Turm der Zwingli-Kirche auf das Herz des Stralauer Kiezes hin: Knapp einen Hektar groß befindet sich hier, im südlichen Friedrichshain, ein Stadtplatz, dessen Name sich auf Rudolf von Stralow bezieht, dem letzten Ritter von Stralau.

Noch zum Ende des 19. Jahrhunderts war dies eine ländlich geprägte Gegend mit sumpfigen Wiesen – der Stralauer Anger. Bis zum Mittelalter traten gelegentlich Verlagerungen des Flussbetts der Spree auf und das Wasser floss mitten durch dieses Gebiet (der Rummelsburger See ist ein Altarm). Die im 18. Jahrhundert errichtete Berliner Zollmauer sowie die Gleisanlagen der Eisenbahngesellschaften, welche im 19. Jahrhundert verlegt wurden, bestimmten Grenzen und Größe des Geländes des heutigen Viertels.

Mit dem Wasserwerk „vor dem Stralauer Tor“ war in den 1850er Jahren eine erste Einrichtung von stadtweiter Bedeutung entstanden. Der Hobrecht-Plan (1862) legte dann die wichtigsten Straßenzüge im Gebiet des zukünftigen Stralauer Kiezes fest, ebenso wie auch die Lage eines Stadtplatzes als Mittelpunkt für das neue Quartier, dem 1896 der Name Rudolfplatz gegeben wurde. Der wesentliche Entwicklungsschub, der die Gestalt des heutigen Viertels prägte, begann in den 1890er Jahren und reichte bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Am nordwestlichen Rand des Rudolfplatzes findet sich heute eine als technisches Denkmal erhaltene Anlage aus dem letzten Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts. Damals war das Kanalisationsnetz für die wachsende Großstadt Berlin gerade im Aufbau. Am Wasserwerksgelände wurde für das Radialsystem XII die Pumpstation in Betrieb genommen, welche die Abwässer aus dem Einzugsgebiet auf die Rieselfelder vor der Stadt pumpte.

Einige Meter weiter sind die als Verkehrsdenkmal erhaltenen Anlagen der Hochbahn zu besichtigen. Reparaturwerkstatt und Wagenhalle, der Bahnhof Warschauer Brücke und die Oberbaumbrücke mit dem Hochbahnviadukt zeugen von den Anfängen dieses neuartigen Verkehrsmittels. Die Firma Siemens & Halske baute hier die Stammlinie der Berliner U-Bahn, durch die seit 1902 die Stadtteile verbunden werden.

Am bekanntesten ist das Viertel für die „Lampenstadt“. Auf dem Grundstück des inzwischen stillgelegten Wasserwerks begann 1906 der Bau eines mehrere Baublöcke umfassenden Fabrikareals der Deutsche Gasglühlicht AG (DGA). Der Erfolg der „Osramlampe“, in welcher Glühfäden aus Osmium und Wolfram eingesetzt wurden, leitete einen Aufschwung der Firma ein. Drei Berliner Hersteller, DGA, AEG und Siemens & Halske, fusionierten ihre Glühlampenfertigung nach dem Ersten Weltkrieg zum OSRAM-Konzern, der hier in der Ehrenbergstraße seine Firmenzentrale hatte.

Ein weiteres Zeugnis des ersten Aufschwungs der Elektroindustrie findet sich am Rudolfplatz mit dem Umspannwerk für die Stromversorgung des wachsenden Quartiers. Im selben Jahr weihte man die neugotische Zwingli-Kirche ein, welche zusammen mit den Mietshäusern im Reformbaustil die Westkante der Platzanlage bildete. In den zwanziger Jahren komplettierte der expressionistische Gemeindesaal den Häuserblock. Prägend für den Rudolfplatz wurde neben der Kirche der gegenüberliegende Schulneubau, der an eine barocke Schlossanlage erinnert.
Nebenan sind mehrere denkmalgeschützte Gebäude des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerks erhalten. Die Modersohnbrücke, 1914 eingeweiht und von 1999 bis 2002 neu errichtet, ist heute in den Abendstunden beliebter Treffpunkt, um Sonnenuntergang und Berlinpanorama zu genießen. Ein weiteres bedeutendes Verkehrsbauwerk findet man südlich vom Rudolfplatz an der Spree: Der Osthafen war bei seiner Einweihung 1913 der größte und modernste Hafen der Stadt.

In dichter Nachbarschaft gibt es im Rudolfkiez ein umfangreiches und interessantes Angebot an Denkmälern der Industriekultur zu entdecken.

Die Glühlampenproduktion endete hier nach der „Wende“, die alte „Lampenstadt“ wurde in den 1990er Jahren zum Dienstleistungsviertel umgebaut und als „Oberbaum-City“ vermarktet. In dieser Zeit entstand der gläserne Bürowürfel auf dem „NARVA-Turm“, der zum Zeichen für die Veränderungen des Stadtteils geworden ist.

Die letzten Güterkähne wurden im Osthafen zur Jahrtausendwende entladen, der Umbau zum Medienstandort wurde als Teil des umstrittenen „Media-Spree“-Projektes bekannt.
Der Rudolfplatz hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einem Standort von Bildungs-, Sozial- und Freizeiteinrichtungen entwickelt: der Nachbarschaftstreff Rudi, die Emanuel-Lasker-Oberschule, die Kinderfreizeiteinrichtung „Die Nische“, die Kita am Rudolfplatz, an die 2014-16 ein Stelzenbau in leuchtendem Orange für das FUN-Familienzentrum angebaut wurde. Der Verein „Kulturraum Zwingli-Kirche“ gründete sich 2006. Das Bezirksamt hat hier langfristig in die soziale Infrastruktur investiert, historische Gebäude wurden saniert. Als nächster Schritt ist die abschnittsweise Umgestaltung der für das dichte Wohnviertel wichtigen Grünfläche und des Spielplatzes geplant. Möglicherweise entsteht am Rudolfplatz perspektivisch ein weiterer Standort der Bezirksbibliothek.