MfS Objekt „Cäsar“ am Ostbahnhof

Direkt am Ostbahnhof in Berlin hatte das Ministerium für Staatssicherheit ein geheimes Objekt, das im ehemaligen Wrizener Bahnhof im Bahnpostamt untergebracht war.
Es hatte den konspirativen Namen „Cäsar“ und diente der Post- und Paketkontrolle in der DDR. Der Bahnhof wurde 1949 für den Personenverkehr geschlossen. 1950 wurde er in Wrizener Güterbahnhof umbenannt und vom MfS übernommen. Das konspirative Objekt „Cäsar“ lag direkt an den S-Bahngleisen in Fahrtrichtung Friedrichstraße, an der Straße der Pariser Kommune/ Ecke An der Ostbahn.


Wirklich geheim war das Objekt nicht, da jeder, der mit der S-Bahn vorbei fuhr, sehen konnte, wie die Pakete ausgeladen wurden. Diese landeten auf einem Förderband und verschwanden in den Keller des Objektes. Jedes der ca. 35 Millionen Pakete aus Ost und West wurde kontrolliert. Mit auffälligen Briefen wurde ebenso verfahren. Daher auch die meistens ungewöhnlich langen Laufzeiten für den Postverkehr von Ost nach West und umgekehrt. So konnte es schon mal passieren, dass man 4 Wochen lang auf sein Westpaket warten musste.

Die Post- und Paketkontrolle begann 1950 und endete im Herbst 1989. Betrieben haben diese Objekte immer die Mitarbeiter des MfS der Abteilung M. Alle Mitarbeiter dieses Postbereiches traten als Beschäftigte der Post auf. Sie trugen die Uniform der Postangestellten, wurden fachlich ausgebildet und erhielten im Rahmen der offiziellen Abrechnung dieselben Lohn – und Sozialleistungen. Auf konspirativen Wege erhielten sie die entsprechenden Sonderleistungen als Angehörige des MfS. Die Anzahl der Mitarbeiter der Abteilung M für die Post- und Paketkontrolle stieg von einigen Dutzend im Jahre 1950 bis auf etwa 2200 im Jahre 1989 in der gesamten DDR. 1989 waren allein in Berlin etwa 600 Beschäftige der Stasi für diese Abteilung im Einsatz.
Die Abteilung M hatte unter anderem den Auftrag von der SED jegliches „Propagandamaterial“, also systemkritisches Schrift- und Gedankengut, im Postverkehr aufzuspüren und weiterzuleiten. Sie hatten die Aufgabe nach „Feindtätigkeiten“ Ausschau zu halten. So wurde auch nach auffälligem Schriftgut, Druckerzeugnissen und Geheimschriften gefahndet. Das bezog sich auf den gesamten deutschen Postverkehr. Ebenso wurden auf diesem Wege Informationen eingeholt, wie die Bevölkerung über das System und die Politik der SED denkt. Aus den so gewonnenen Informationen wurden dann Stimmungs- und Lageberichte erstellt.

Die Abteilung M fertigte auch eine operative Vergleichsdatei an. In dieser Kartei sollten alle Auslandsverbindungen von DDR-Bürgern erfasst werden. Sie enthielt nicht nur die Grunddaten zu einer Zielperson sondern auch Daten zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Damit brachte die Kartei auch Aufschlüsse über nicht genehmigte Westkontakte von Mitarbeitern des Staatsapparates. Auf diesem Wege konnten auch Informationen über unliebsame Bürger und Aktivitäten gesammelt, erfasst und ausgewertet werden. Ebenfalls gab es eine Genehmigungsdatei über Personen, die berechtigt waren, westliche Druckerzeugnisse zu erhalten.

Von Anfang an war es ebenfalls die Aufgabe der Abteilung M in Postsendungen enthaltene Zahlungsmittel und andere Wertgegenstände aufzuspüren und zu konfiszieren. Penibel wurden die jährlich ca. 25 Millionen Westpakete kontrolliert. Diese wurden wie die 10 Millionen Pakete, die die DDR verließen, durchgehend geröntgt. Den Kontrolleuren des MfS entging nichts, weder versteckte Geldscheine oder abenteuerlich gebastelte Verstecke. Entnommen wurden auch Kleidung, Zeitschriften, Bücher, Musik, elektronische Geräte, Kosmetik, Hygieneartikel, Lederwaren, Lebens- und Genussmittel. So mancher Bürger der DDR hat sich sicher gewundert, dass sein Westpaket nach Kaffee roch, aber kein Kaffee im Paket enthalten war. Diese Sachen wurden dem Zentrallager in Freienbrink zugeführt und zur weiteren Verwendung gelagert.

Im innerdeutschen Postverkehr gab es auch sogenannte Irrläufer. Irrläufer, das sind Postsendungen, die aufgrund der Postleitzahlenidentität der Bundesrepublik und der DDR versehentlich in den Befugnisbereich der DDR gelangten. In den sechziger und siebziger Jahren galt der Grundsatz, die Irrläufer nur bei Verdacht zu öffnen und auszuwerten. Mitte der siebziger Jahre wurde der mündliche Befehl erteilt, alle Irrläufer einzubehalten. Die Ausführung der Anordnung hatte zur Folge, dass von 1984 bis 1989 monatlich mindestens 600 fehlgeleitete Sendungen einbehalten, nach Freienbrink gebracht wurden und dort verwertet worden sind. Das Objekt in Freienbrink wurde im Volksmund auch „Erichs Räuberhöhle“ genannt.

Folgende Verwertungsmöglichkeiten kamen in Betracht. Der Verkauf in so genannten Verkaufsstellen VD / II für hochrangige Funktionäre und MfS-Offiziere. Dies geschah besonders bei Gebrauchsgegenständen, Kleidung, Elektrogeräten, Lebens- und Genussmitteln, die für dienstliche Zwecke des MfS nicht zu nutzen waren. Bezahlt wurde in diesen Verkaufsstellen mit DDR-Mark. Der Umtauschkurs der Waren war für die Genossen immer eins zu eins. Ein ganz normaler DDR-Bürger hatte Glück, wenn er jemanden kannte, der Westgeld hatte und auch tauschte. Auf dem Schwarzmarkt war der Umtauschkurs 10 DDR-Mark für 1 D-Mark. So kostete also eine Packung „Krönung“ für einen MfS-Offizier 10 DDR-Mark und für einen normalen Bürger bis zu 100 DDR-Mark. Der Erlös wurde über die Abteilung Finanzen des MfS dem Staatshaushalt zugeführt. Antiquitäten wurden der „KoKo“ zum Verkauf ins Ausland übergeben. Eine weitere Verwendungsmöglichkeit bestand darin, Fachabteilungen des MfS auszustatten.

Die einzelnen Arbeitsschritte bei der Postkontrolle waren genau vorgegeben. Noch Anfang der siebziger Jahre wurden Briefe manuell geöffnet und geschlossen. Im Jahre 1975 kam der in Zusammenarbeit mit dem operativ technischen Sektor entwickelte Heißdampföffnungsautomat 10/10 zum Einsatz. Mithilfe dieser Maschine stieg die Arbeitsleistung der Mitarbeiter erheblich. Später wurde auf die Technik des Kaltdampföffnens übergegangen. Diese Methode hatte gegenüber dem Öffnen mit heißem Dampf den Vorteil, dass sie fast keine Spuren am Briefumschlag hinterließ. Um Schriftgut schneller und zielgerichteter ausfindig zu machen, setzte die Postkontrolle später ein automatisches Durchleuchtungs- und Aussonderungsgerät ein. Die sogenannte PiD Falle. Politisch ideologische Diversion war alles, was nicht der sozialistischen Linie der SED entsprach. Dazu gehörten andersdenkende Menschen jeder Art. Diese sollten vom MfS erkannt, erfasst, beobachtet, destabilisiert, zersetzt, bekämpft und unschädlich gemacht werden.

Oberstes Prinzip der Abteilung M war eine ständige gegenseitige Kontrolle der Mitarbeiter, um eine private Aneignung einbehaltener Gegenstände zu verhindern. Grundsätzlich mussten die Mitarbeiter in Kitteln ohne Taschen arbeiten. Sie wurden so platziert, dass sie sich gegenseitig an ihren Arbeitsplätzen sahen. Wurden Geld oder andere Gegenstände gefunden, war dies laut anzusagen. Es musste ein Beleg in doppelter Ausfertigung ausgeschrieben werden, der zusammen mit der Sendung und dem Wertinhalt dem jeweiligen Leiter zu übergeben war. Es wurden zahlreiche Kontrollmechanismen installiert, um die Mitarbeiter zu prüfen. So wurden beispielsweise fingierte Briefsendungen mit Wertsachen und Geld unter die normale Post gemischt, um die Ehrlichkeit der einzelnen Mitarbeiter zu testen. Des Weiteren wurde ein Katalog von Strafen und Sanktionen erarbeitet.

Das konspirative Objekt „Cäsar“ wurde am 15 November 1989 an die Deutsche Post übergeben. Der Gesamtschaden, der durch die Abteilung M entstanden ist, wurde 1992 vom damaligen Polizeipräsidenten auf 10 210 000 Mark beziffert. Im Einzelnen wurden Güter im Wert von 8 338 467 Mark über die Verkaufsstellen durch den Verkauf an MfS-Offiziere verwertet. Weitere Güter im Wert von 944 470 Mark wurden von der „KoKo“ ins westliche Ausland veräußert. Güter im Wert von 228 332 Mark wurden verschiedenen Diensteinheiten des MfS überlassen. Güter im Wert von mindestens 700 000 Mark lagerten bis zur Auflösung der Abteilung M im Zentrallager Freienbrink. In der Zeit von Januar 1984 bis November 1989 hat die Abteilung M des MfS Zahlungsmittel in 29 verschiedenen Währungen im Wert von 32 725 913 DM vereinnahmt.

Die im Januar 1990 in den Bezirken aufgenommenen Ermittlungsverfahren gegen die Post- und Telefonkontrolleure des Ministeriums für Staatssicherheit wurden auf Weisung des Generalstaatsanwalts bereits im März eingestellt. Zur Begründung hieß es, Erich Mielke trage für alles die Verantwortung und die ermittelten Fakten würden in das zentrale Verfahren gegen seine Person einfließen. Wegen der Verhandlungsunfähigkeit Mielkes wurde das Verfahren aber eingestellt. Die Strafbarkeit dieses staatlich organisierten Postraubs wurde auch vom Bundesgerichtshof nicht bestätigt, da die Stasi-Offiziere sich nicht persönlich bereichert, sondern die aus den Postsendungen entwendeten Werte an den Staatshaushalt der DDR abgeführt hatten.



Heute ist vom konspirativen Objekt „Cäsar“ des Ministeriums für Staatssicherheit am Ostbahnhof nicht mehr viel zu sehen. Lediglich die Stahlträger vom Wriezener Güterbahnhof lassen erahnen, dass sich dort einmal eine Gleisanlage befand. Jetzt sind auch die letzten Reste geräumt und es erinnert gar nichts mehr daran, was dort für staatliche Bereicherung und organisierte Vorteilsname für einen bestimmten elitären Kreis der DDR-Oberen stattgefunden hat. Es gab genug Genossen, die sich hemmungslos am Eigentum ihrer Bürger bereichert haben. Eine abgetrennte Zone, die sich immer als besserer Teil Deutschlands darstellten wollte. Dort wo nicht alles und für alle so schön war, wie es schien, ist es wichtig, ein solch staatlich organisiertes Verbrechen an die Menschen, die dort leben mussten, in Erinnerung zu behalten.

Es gab nicht nur Achim Menzel, FKK und Spreewälder Gurken…

Text & Fotos: Thomas Beyer