In der Familie Graefe sitzt das Skalpell locker

Im 19. Jahrhundert vollbrachten der innovative Chirurg Carl Ferdinand von Graefe und sein Sohn Albrecht, ein genialer Augenarzt, große Leistungen auf medizinischem Gebiet. Beiden war eine außerordentliche Frühreife gemeinsam, die sie sehr bald zu großen Leistungen befähigte, beiden aber auch ein früher Tod noch auf der Höhe ihres Wirkens.

Carl Ferdinand von Graefe wurde am 8. März 1787 in Warschau geboren. Er erhielt von dem deutschen Hauslehrer und Arzt Dr. Otto von Meißen Unterricht, bis er vierzehnjährig an das Gymnasium in Bautzen kam. 1805 begann er sein Medizinstudium an der Universität in Halle, das er bereits 1807 in Leipzig mit solchem Erfolg abschloss, dass der Großkanzler der Universität berichtete: „Obwohl man Großes von ihm erwartete, er dennoch die Erwartungen aller übertroffen habe“.

Noch im selben Jahr ging er als Leibarzt des Herzogs Alexius von Anhalt-Bernburg nach Ballenstedt. Dem Zwanzigjährigen wurde die Leitung des Gesundheitswesens im Herzogtum übertragen. Er errichtete in Ballenstedt ein Krankenhaus und gründete aufgrund einer bisher kaum beachteten Eisenquelle den Kurort Alexisbad. Zum Wintersemester 1810/11 folgte er dem Ruf an die neugegründete Berliner Universität als Direktor des klinisch-chirurgischen-augenärztlichen Instituts.

Als er sich 1813 zur Befreiungsarmee meldete, wurde er von König Friedrich Wilhelm III. zum Divisionsgeneralchirurgus mit der Aufsicht über das gesamte Lazarettwesen zwischen Weichsel und Weser ernannt. Nach Beendigung der Befreiungskriege stellte ihm die Berliner Universität die Häuser in der Ziegelstraße 5-6 zur Verfügung. Über ein Jahrhundert lang war hier einer der bedeutendsten chirurgischen Lehrstühle der Welt untergebracht.

Hier war er in der Lage, sein innovatives Potential zu entwickeln, durch das er die Chirurgie in Preußen zur gleichberechtigten Wissenschaft erhob. Er führte die erste Resektion eines vom Krebs befallenen Unterkiefers in Deutschland durch. 1816 gelang ihm als ersten Chirurgen der operative Verschluss einer angeborenen Gaumenspalte. Der Begriff „Rhinoplastik“ für den Ersatz der Nase aus eigenem Gewebe geht auf ihn zurück. Er behandelte den angeborenen Star des Prinzen von Cumberland mit einer neuen Schnittführung zur Entfernung der getrübten Linse. Ferner führte er neue chirurgische Verfahren bei Amputationen, in der Urologie und der Augenheilkunde ein.

1826 schlug ihn der polnische Senat, veranlasst durch von Graefe behandelte polnische Offiziere, zur Nobilitierung vor, die Zar Nikolaus I. 1826 vollzog und deren Annahme dessen Schwiegervater, der preußische König Friedrich Wilhelm III., glückwünschend genehmigte.

Da Graefe sich niemals bei seiner Arbeit schonte, litt seine Gesundheit und er begab sich auf ärztlichen Rat 1829 auf eine längere Urlaubsreise über Alexisbad und Tirol nach Neapel. Dort wurde er bei einem Jagdunfall verletzt und litt seitdem an starken neuralgischen Beschwerden. Als er 1840 auf dem Weg nach Hannover war, um den späteren König Georg V. zu behandeln, zog sich Graefe einen Typhusinfekt zu, dem er am 4. Juli 1840 erlag.

Noch heute erinnert das Grabmal auf dem Kirchhof der Jerusalemgemeinde am Halleschen Tor an den Neubegründer der plastischen Chirurgie.

Schon 1824 hat sich Carl von Graefe am Nordwestrande des Tiergartens ein Sommerhaus bauen lassen. Außerdem bewohnte die Familie Graefe ein nobles Haus in der Behrenstraße 48. In diesen beiden Häusern wuchs der am 22. Mai 1828 geborene Albrecht von Graefe als viertes von fünf Kindern auf. Mit fünfzehn Jahren erließ man dem hochbegabten Albrecht im September 1843 die mündliche Prüfung an einem französischen Gymnasium, nachdem er schon zuvor vom Mathematikunterricht befreit worden war.

Er schrieb sich sofort für das Studium der Medizin sowie der Mathematik, der Physik, der Chemie und der Philosophie ein. Zu seinen Lehrern gehörten unter anderen Johannes Müller, Schönlein, Dieffenbach und Virchow. Im August 1847 mit nur 19 Jahren erhielt er seine Promotionsurkunde für eine der letzten auf Lateinisch abgefassten Dissertationen in Berlin und im anschließenden Wintersemester legte er ein vorzügliches Staatsexamen ab.

Materiell unabhängig trat Graefe im Herbst 1848 die damals obligatorische Bildungsreise an. Bereits während seiner ersten Station in Prag, wo er ein Praktikum bei dem Augenarzt Ferdinand Arlt machte, fiel für ihn die Entscheidung, sich der Augenheilkunde zuzuwenden. Der nächste Aufenthaltsort war Paris, wo er in den Kliniken von Sichel und Desmarres die Grundlagen der Augenheilkunde erwarb und die Grundlage für seine überragende Operationstechnik legte.

Von Paris ging es weiter über Belgien an den Rhein, um dann zu Fuß von Taunus über Schwarzwald bis zu den Schweizer Alpen zu wandern. Im Spätsommer 1851 brach Graefe zu der letzten Etappe seiner Lehr- und Wanderjahre nach England auf. In London lernte er die Ärzte William Bowman und Frans Cornelis Donders kennen und begeisterte beide so, dass sie zur Augenheilkunde überwechselten.

Noch im Jahr 1851 eröffnete Graefe neben dem Stadthaus seines Vaters in der Behrenstraße seine erste kleine Armenpraxis. Im folgenden Jahr zog er erst in die Prachtstraße Unter den Linden, dann in zwei Zimmer in der Karlstraße (heute Reinhardstraße) 46. Dieses Haus erweiterte er um zwei Nachbarhäuser und baute es zu einer Privatklinik mit 120 Betten um.

Hier wurden nun neue Ideen entwickelt und Albrecht von Graefe wurde zum Erneuerer der Augenheilkunde und Begründer eines eigenen Fachgebiets, da die Augenheilkunde bisher eine Unterabteilung der Chirurgie war. Durch die 1851 erfolgte Erfindung des Augenspiegels von Hermann von Helmholtz konnte sich Graefe an die Erforschung des Augenhintergrundes machen. Nach dem Studium der Funktionsweise der Augenmuskeln gab er 1853 seine neue Methode der Schieloperation bekannt und 1856 heilte er erstmals operativ den grünen Star, seine wohl bedeutendste Leistung.


Obwohl Graefe bereits 1856 habilitierte und 1857 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde, erhielt er erst 1866 ein selbständiges Ordinariat, 1868 dann eigene Betten in der Charité und damit das Recht seine Studenten zu prüfen.

Erst relativ spät, im Jahre 1862, heiratete Graefe die dänische Gräfin Anna von Knuth in der Sakrower Heilandskirche am Havelufer. 1866 bezog das Paar ein geräumiges Haus in der Bellevuestraße am Südrand des Tiergartens. Aber schon bald darauf zogen die Graefes in ein neuerbautes Haus in der damaligen Victoriastraße 34, schräg gegenüber der Alten Philharmonie.

Da Albrecht von Graefe wie schon sein Vater immer für seine Patienten da war und sich nie schonte, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand nach und nach. Ihn befiel ein Kehlkopf- und Lungenleiden, an dem er schließlich am 20. Juli 1870 gerademal 42-jährig starb. Weniger als zwei Jahre später folgte ihm seine Frau. Beide wurden in einem Grab direkt neben der Grabstätte seiner Eltern im Kirchhof der Jerusalemgemeinde nahe der Zossener Straße beigesetzt.

Bereits fünf Jahre nach Graefes Tod wurde die Straße zwischen Hasenheide und Planufer nach ihm benannt. Die sich dort befindende Schule trägt ebenfalls seinen Namen.

Auf Initiative der Berliner Medizinischen Gesellschaft und mit Spenden aus der ganzen Welt wurde 1882 das aufwendige Standbild Graefes, von Rudolf Siemering geschaffen, auf dem Charitéplatz errichtet.