Otto Freundlich – Utopist, Künstler

Berlinische Galerie, Haupteingang, © Foto: Nina Straßgütl

Die Berlinische Galerie präsentiert im Rahmen der Ausstellung „FREIHEIT – Die Kunst der Novembergruppe 1928-1935“, die noch bis zum 11. März 2019 zu sehen ist, das 1926 entstandene Werk „Komposition“ des Künstlers Otto Freundlich.

Otto Freundlich, Komposition, 1926, © Urheberrechte am Werk erloschen, Repro: Kai-Annett Becker, Pressebild, Berlinische Galerie

Das Bild trägt die Werkverzeichnungsnummer 134, ist in Öl auf Leinwand gemalt und hat die Maße 46 x 38 cm. Auf der Rückseite findet sich als nähere Bezeichnung: „Otto Freundlich Paris 1926 für Hannah Höch in alter Freundschaft Paris 1927“.

Der Bildhauer, Maler, Glasmaler und Grafiker Otto Freundlich wird am 10. Juli 1878 in Stolp, Pommern (heute Polen) geboren. Er besucht das Gymnasium in Stolp, bricht die Schule ab, um in Hamburg eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren. Im April 1903 holt er sein Abitur dann aber nach. Anschließend studiert er in Berlin und München Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft.

In Berlin lernt er den Schriftsteller, Verleger, Komponisten, späteren Galeristen und Herausgeber der Zeitschrift „Der Sturm“ Herwarth Walden und dessen Frau Else Lasker-Schüler kennen.

1905 und 1906/07 reist er nach Florenz, wo er sich intensiv mit der italienischen Kunstgeschichte beschäftigt und sich zu eigener künstlerischer Arbeit entschließt.

Im Verlauf des Jahres 1907 nimmt Otto Freundlich privaten Kunstunterricht in Berlin, unter anderem bei Lovis Corinth.

Nach dem Studium der Bildhauerei an privaten Kunstschulen in Berlin zieht er 1908 nach Paris, wo er zum Beispiel Pablo Picasso, Auguste Herbin, Georges Braque, Max Jacob, Guillaume Apollinaires und Robert Delaunay kennenlernt.

1910 wird Otto Freundlich Mitglied der Berliner Secession und der Neuen Berliner Secession, wo sich zwischen ihm und Karl Schmidt-Rottluff eine Freundschaft entwickelt. Es entstehen die ersten ungegenständlichen Kompositionen und Entwürfe für Wandteppiche.

1912 ist Otto Freundlich in Hamburg, wo er von Skulpturen der Osterinseln inspiriert, den monumentalen Kopf „Der neue Mensch“ gestaltet, der 1937 auf dem Titelblatt des Katalogs der von den Nazis organisierten Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen sein wird.

Von März bis Juli 1914 bezieht er ein Atelier in der Kathedrale von Chartres und studiert dort die Glasfenster, von denen er tief beeindruckt ist und die ihn wegen ihrer lichtdurchfluteten Farben später zu eigenen Kompositionen inspirieren werden.

Noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges kehrt Otto Freundlich nach Deutschland zurück und wird Sanitätssoldat bei den Köln-Deutzer Kürassieren. 1916/17 nimmt er an der Antikriegsbewegung teil.

Freundlich wendet sich auch dem DADA zu, der aus Zürich schnell nach Berlin übergreift. Hier wird schon im April 1918 bei einem Vortragsabend in der Berliner Sezession ein Dadaistisches Manifest proklamiert. In diese Zeit fällt wohl auch die Bekanntschaft mit den Berliner Dadaisten, zu denen auch Hannah Höch gehört.

1918 wird Otto Freundlich Gründungsmitglied der „Novembergruppe“ und führt in einem Brief vom 11.2.1919 erstmalig den Begriff „Kosmischer Kommunismus“ ein, in dem sich das individuelle Ich „im bewegten Meer des kosmischen Gesamtleibes“ auflösen soll.

Allerdings tritt er bereits im Dezember 1919 wieder aus der Novembergruppe und auch aus dem Deutschen Werkbund sowie dem Arbeitsrat für Kunst in Berlin mit der Begründung aus: „Diese drei Institute gleichen einander wie Drillinge, gezeugt in dem Bette der Bürokratie, getauft mit dem Wasser der bürgerlichen Kirche, getränkt vom Geiste des Snobismus, des Strebertums und der ganzen merkantilen Infektion“.

Zusammen mit dem Maler, Grafiker und Bildhauer Max Ernst (1891-1976) organisiert Freundlich 1919 die erste Kölner Dada-Ausstellung „minimax dadamax“.

Im Herbst 1921 erwägt Walter Benjamin, Otto Freundlich als Mitarbeiter für seine Zeitschrift „Angelus Novus“ anzustellen, nimmt aber nach einer persönlichen Begegnung mit Freundlich wieder Abstand von dieser Idee. Er ist der Meinung, dass Freundlich zwar gute Ideen habe, aber ansonsten eine „erstaunliche Unreife“ zeige.

Im August 1924 übersiedelt Otto Freundlich nach Paris und gibt beim Magistrat der Stadt Paris als Beruf „Glasmaler“ an, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.

Hier lernt er über den Bildhauer Hans Muschg dessen Schwester Hedwig Muschg kennen, die ihn bis an sein Lebensende finanziell unterstützen wird. Zum Dank überlässt er ihr einige seiner Arbeiten, die sie sammelt und nach seinem Tod an Museen und Kunstsammler verkauft, um sein Werk bekannter zu machen.

1930 trifft er die Malerin, Bildhauerin und Sängerin Jeanne Kosnick-Kloss (1892-1966), mit der der inzwischen 52-jährige Otto Freundlich sein restliches Leben teilen wird.

Er verfasst „Die Wege der Abstrakten Kunst“, in der er die Farbflächen als „offene Gemeinschaft“ beschreibt und für die „Überwindung“ des Auges plädiert: „Das Auge ist also der Feind des Bildes, weil es ein träges und unschöpferisches Organ ist. Der Maler malt nicht für das Auge, sondern vermittels des Auges, so dass das Auge nicht ein Ziel, sondern ein Mittel ist.“

In seinen „Bekenntnissen eines revolutionären Malers“ von 1935 erklärt Otto Freundlich, was er mit dem Begriff „Kosmischer Kommunismus“ meint: „Der Welt, der die Menschen so lange entfremdet waren, sollten sie sich endlich wieder aufschließen. Sie sollten das Ganze denken und als Freie und Gleiche ins Ganze entlassen werden.“

Dieses Konzept eines utopischen Universalismus setzt Otto Freundlich in seinen Bildern um, indem er versucht, durch Entindividualisierung der Darstellung von Menschen, Pflanzen und Dingen zu einer dialektischen Sprache der Farben zu kommen.

In seinen Abstraktionen arbeitet er mit Farbflächen. Seine Bilder bestehen aus ebenen Elementen, aus Geraden und Kreisen, die die ganze Oberfläche bedecken und sich darüber hinaus fortzusetzen scheinen. Um Gegensätze zu schaffen, zersplittert er Flächen in kleinere Einheiten, um eine stärkere Dynamik und Rhythmik zu erreichen.

In seinem Atelier in Paris gründet Otto Freundlich 1936 „Le Mur“, eine private Akademie, in der er Malerei, Bildhauerei, Zeichnung und Graphik lehrt.

1937 organisieren die Nazis die Wanderausstellung „Entartete Kunst“, die von drei Millionen Menschen besucht wird. Im Juli und August 1937 werden in Deutschland 14 Werke von Otto Freundlich aus öffentlichen Sammlungen durch das Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung beschlagnahmt.

Trotz seiner Loyalität gegenüber seiner Wahlheimat Frankreich wird Otto Freundlich kurz nach Kriegsbeginn im September 1939 als deutscher Staatsangehöriger von der französischen Polizei verhaftet. Er durchläuft verschiedene Internierungslager, bis er im Februar 1940 entlassen wird.

Zurück in Paris, stellt er sofort einen Einbürgerungsantrag. Ende Mai 1940 wird er allerdings schon wieder interniert. Nach seiner Entlassung, wenige Wochen später, reist er mit dem letzten Zug nach Perpignan in das Dorf Saint-Paul-de-Fenouilet in den Pyrenäen. Dort steht er aber weiterhin unter Hausarrest und der Kontrolle der Polizei.

Otto Freundlich, Jude, Kommunist und „entarteter“ Künstler, sieht sich wegen der Deportation von Juden aus Frankreich nach Deutschland gezwungen, sich in dem Dorf Saint- Marin-de-Fenouilet zu verstecken. Hier wird er im Februar 1943 von einem französischen Bauern, der sein Nachbar ist, denunziert und von Gendarmen verhaftet.

Nach kurzem Aufenthalt in zwei Internierungslagern wird Otto Freundlich, er ist jetzt 65 Jahre alt, am 4. März 1943 nach Polen deportiert. Dort wird er am 9. oder 10. März 1943, gleich nach seiner Ankunft, im KZ Majdanek oder im KZ Sobibor ermordet.

In der Sammlungspräsentation „KUNST IN BERLIN 1880–1980“ der Berlinischen Galerie wird ein weiteres Werk von Otto Freundlich aus dem Jahre 1921 gezeigt.

Otto Freundlich, Die Mutter, 1921, © Repro: Kai-Annett Becker

Freundlich, der seit 1924 ständig in Paris lebt, verbringt nach der Novemberrevolution nicht viel Zeit in Berlin. Gleichwohl gehört er zu „den originellsten Abstrakten des 20. Jahrhunderts“ und hat eine nicht geringe Wirkung als Künstler und Mensch auf andere Maler, Grafiker und Gestalter seiner Zeit. Mit gutem Recht kann man deshalb Otto Freundlich als einen Wegbereiter der Moderne ansehen.

Bemerkenswert ist auch der soziale Ansatz seiner Kunst. Otto Freundlich vertritt die Idee einer Kunst, die dem Humanismus und der menschlichen Brüderlichkeit verpflichtet ist. Seine Kompositionen postulieren „das Ideal eines sozialen Gefüges, in dem das Einzelne im Dialog mit dem Ganzen“ steht. Erinnert sei an seine Vorstellung einer völkerverbindenden „Straße der Skulpturen Paris-Moskau“ oder den „Weg der menschlichen Brüderlichkeit“.

Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
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