Berlins erstes Wasserwerk am Stralauer Tor


Wasserwerk am Stralauer Tor, Illustration Worch

Um 1850 war Berlin die letzte europäische Großstadt, deren Bürger Trinkwasser immer noch aus Brunnen schöpften. Debattiert über ein neues Wassersystem hatte der Magistrat bereits seit zwanzig Jahren. Allgemein jedoch fehlte das Verständnis für den Kulturwert einer in allen Haushalten und Stockwerken mühelos zugänglichen Wasserquelle.

Schließlich sah sich die Staatsbehörde veranlasst, die Anlage einer zentralen Wasserversorgung zu realisieren, denn reichlich Wasserspülung sollte vor allem den unhygienischen Zustand der Rinnsteine sanieren. Gepflasterte Rinnsteine zwischen Fahrdamm und Bürgersteig fungierten als offene Schwemmkanalisation und mündeten in die Spree. Schwemmkanalisation war der Standard jener Zeit und bedeutet, dass das Abwasser mit Hilfe von Regenwasser weggeschwemmt wird. Bei Schönwetter blieb die Schwemme aus.

Nachdem der Magistrat den Bau eines eigenen Wasserwerks abgelehnt hatte, wurde einer englischen Gesellschaft 1852 die Konzession dazu erteilt. Die Berlin-Water-Works-Company verpflichtete sich, das Wasser zur Spülung der Rinnsteine und für Feuerlöschzwecke kostenfrei zu Verfügung zu stellen und erhielt für 25 Jahre das Recht, die Einwohner gegen Entgelt mit Wasser zu beliefern.

1856 ging nach vierjähriger Bauzeit Berlins erstes Wasserwerk am Stralauer Tor, nördlich der heutigen Oberbaumbrücke, in Betrieb. Aus der Spree gefördert und in Sandfiltern gereinigt, wurde das Wasser mittels Pumpen in das Rohrsystem der Stadt geleitet. Vor dem Prenzlauer Tor war auf dem Windmühlenberg ein Wasserspeicher zur Regulierung wechselnden Bedarfs und ein Turm zum Druckausgleich gebaut worden.


Feuerwehrbrunnen auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg mit der Skulpturengruppe von Kurt Mühlenhaupt (1921–2006) aus dem Jahre 1981.

Straßenreinigung und Spülung der Rinnsteine gehörten zum Ressort der Feuerwehr. In Hydrantenkolonnen rückten frühmorgens die sogenannten Spritzenmänner aus, öffneten die Hydranten und sorgten für eine regelmäßige und ausreichende Durchspülung der Rinnsteine. Die Hauptverkehrsstraßen wurden täglich gereinigt, die übrigen ein- bis dreimal wöchentlich. Nach Beendigung dieser Arbeit hatten die Spritzenmänner Bereitschaftsdienst in der Feuerwache. Jeder dritte Tag war Ruhetag. 1875 arbeiteten in Berlin beispielsweise 512 Spritzenmänner. Hinzu kamen Tagearbeiter, an einzelnen Tagen bis zu 1500 Mann.

Das Wasserwerk rentierte sich für die Company zunächst kaum. Nach einem Jahr wurden lediglich 341 Häuser mit fließendem Wasser beliefert. Als Komfort und Hygiene jedoch allgemein Wertschätzung fanden, wuchs die Anzahl der Konsumenten. Die zahlreichen Neubauten erhielten sämtlich Wasseranschluss. Wohnungen ohne fließend Wasser wurden schwer vermietbar und mussten nachgerüstet werden.

In den 12 Jahren nach 1860 stieg der Wasserverbrauch von 3 auf 14 Millionen Kubikmeter per annum und 1872 wurden 7524 Grundstücke mit Wasser versorgt. Die Kapazität des Wasserwerks konnte dem Bedarf nicht mehr genügen. Einige Wohngebiete waren für die Wasserversorgung zudem noch gänzlich unerschlossen. Die Company wiederum sah keine Veranlassung, ihre Gewinne ohne eine Vertragsverlängerung durch Baukosten zu mindern.

Der Berliner Magistrat hatte inzwischen den Bau einer unterirdischen Kanalisation erwogen und war zu der Auffassung gelangt, dass die Koordination des Projekts nur mit einer Wasserversorgung unter Städtischer Verwaltung gelingen könne. 1873 kaufte die Stadt das Wasserwerk und beauftragte den Direktor mit der Erweiterungsplanung zur Versorgung von 1 Million Menschen. 1877 ging am Tegeler See ein zweites Wasserwerk in Betrieb.

Der Bevölkerungszuwachs kulminierte nach 1861 in Berlin. Jährlich vergrößerte sich die Einwohnerzahl um etwa 35.000 Menschen, so dass die Stadt 1877 1 Million Einwohner hatte und 1905 die 2 Millionen überschritten waren.

Abermals wurde ab 1888 eine Erweiterungsplanung für 2,5 Millionen Menschen umgesetzt und die gänzliche Aufgabe des Werks am Stralauer Tor avisiert. Nachdem im Jahr 1893 das neue Werk am Müggelsee die Wasserförderung aufgenommen hatte, damals die größte und modernste Anlage Europas, stellte das Wasserwerk am Stralauer Tor den Betrieb für immer ein.