Heinrich Zill(e) – Spurensuche in Friedrichshain-Kreuzberg

„Es tut weh, wenn man den Ernst als Witz verkaufen muss.“, Zitat Heinrich Zille

Erst beim Antritt zu seinem Militärdienst im Jahre 1880 lernte Heinrich Zill, dass er eigentlich Heinrich Zille hieß. Um von seinen Gläubigern nicht so leicht gefunden zu werden, hatte sein Vater Traugott Zille nach seiner Flucht über Dänemark nach Berlin das „e“ am Ende gestrichen.

Geboren wurde Heinrich Zille 1858 in Radeburg bei Dresden. Im November 1867 folgte die Familie dem Vater nach Berlin in eine Kellerwohnung in die Kleine Andreasstraße 17 in Friedrichshain.

Dort lebten die Zilles zu viert in einem Zimmer. Hier in den engen Straßen lernte Heinrich Zille zum ersten Mal sein „Milljöh“ kennen.

Beeindruckt von den Stichen von William Hogarth begann Heinrich zu zeichnen und nahm bald privaten Zeichenunterricht bei Anton Spanner, den er von seinem selbst verdienten Geld bezahlte. Sein Vater Traugott Zill fand inzwischen Arbeit bei Siemens & Halske in der Schöneberger Straße in Kreuzberg. Dies ermöglichte den Zilles den Umzug ins eigene Haus in der Fischerstraße. Vater Zille wollte, dass sein Sohn Metzger wird, aber auf Anraten von Anton Spanner konnte Heinrich am 1. April 1872 eine Lithographie Lehre bei der Firma Hecht in der Alten Jakobstraße 32 in Kreuzberg beginnen. Neben seiner Lehre nahm Zille Zeichenunterricht bei dem Maler und Illustrator Professor Theodor Hosemann, der ihn dazu anhielt nach der Natur zu zeichnen.

Nach seiner Lehre arbeitete Zille in verschiedenen Betrieben als Zeichner, bis er schließlich 1877 als Geselle bei der „Photographischen Gesellschaft Berlin“ angestellt wurde. Hier arbeitete er 30 Jahre lang und als die „Photographische Gesellschaft“ nach Westend umzog, folgte Zille mit seiner Familie nach Charlottenburg, um seiner Arbeitsstelle näher zu sein.

In seiner Freizeit betrieb er weiterhin seine Zeichenstudien, die ihn jetzt immer mehr in sein „Milljöh“ führten, in die Hinterhöfe der armen Viertel, die Seitengassen und Kneipen der Arbeiterwelt. Er begann erste Zeichnungen auszustellen, die teilweise auch in Zeitschriften wie dem „Simplicissimus“, der „Jugend“ und den „lustigen Blättern“ veröffentlicht wurden.

Für Zille kam die Kündigung nach 30 Jahren durch die „Photographische Gesellschaft“ wie ein Schock. Freunde, wie Max Liebermann, August Gaul, August Kraus und andere, überzeugten Zille nach langen Gesprächen als freier Künstler zu arbeiten. Anfänglich zweifelte Zille an seinen Fähigkeiten, aber nach und nach stellte sich eine immer größere Nachfrage ein.

Als 1898 die Bilder von Walter Leistikow von der Jury des jährlichen Salons unter Vorsitz von Anton von Werner abgelehnt wurden, gründeten 65 Künstler, unter anderem Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Max Slevogt und Eduard Munch, die „Berliner Secession“, der auch Heinrich Zille 1903 beitrat. Zille wurde Vorstandsmitglied der „Freien (Neuen) Secession“, als diese sich 1914 von der „Berliner Secession“ abspaltete. In diesem Jahr erschienen auch die Bildbände „Mein Milljöh“, die „Hurengespräche“ und „Berliner Luft“. Die Berliner Nationalgalerie erwarb 1921 eine größere Anzahl seiner Zeichnungen. Auf Betreiben von Max Liebermann wurde Zille 1924 in die Preußische Akademie der Künste als Professor aufgenommen.

Zilles Popularität nahm immer weiter zu. Schon 1910 erhielt er von der Berliner Illustrierten Zeitung den Menzelpreis. Es entstand ein regelrechter Zille-Boom. Man feierte Zillebälle mit Verkleidung nach Zilletypen und Autogrammstunden mit dem Meister. Es wurden durch Zille inspirierte Filme gedreht, wie zum Beispiel 1925 „Die Verrufenen, der fünfte Stand“ von G. Lamprecht. Touristentouren führten durch Zilles „Milljöh“, Kneipen wurden nach ihm benannt und sogar eine Zigarettenmarke erhielt seinen Namen.

Heute spiegelt sich Zilles Ruhm in einer großen Zahl nach ihm benannter Straßen, Siedlungen, Schulen, Parks wie bei keinem anderen Künstler. So gibt es unter anderem eine Heinrich-Zille-Schule in Kreuzberg in der Waldemarstraße und eine Zille-Grundschule in der Boxhagener Straße in Friedrichshain.

Um Zilles Ausnahmestellung als Künstler zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, welch große Anzahl von künstlerischen Strömungen es zu seinen Lebzeiten gab. Unter anderen die Historienmalerei (Anton von Werner),den Realismus (Adolf Menzel, Wilhelm Leibl, Edouard Manet), Impressionismus und Postimpressionismus (Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Claude Monet), Symbolismus (Edvard Munch, James Ensor, Arnold Böcklin), Jugendstil (Gustav Klimt, Egon Schiele), ferner im 20. Jahrhundert den Expressionismus, den Kubismus, den Beginn der abstrakten Malerei, den Surrealismus und die Neue Sachlichkeit. Keiner dieser Stilrichtungen lässt sich Heinrich Zille eindeutig zuordnen. In seinen Zeichnungen beschrieb er seine „reale“ Umwelt, die Armut und das Elend des 5. Standes. Er zeichnete aber nicht direkt naturalistisch, wie z. B. Käthe Kollwitz, Hans Baluschek oder Franz Skarbina, sondern mit Witz und Ironie. Dadurch vermied er das Pathetische dieser Künstler und konnte trotzdem auf Elend und Armut aufmerksam machen.

Am 9. August 1929 starb Heinrich Zille in seiner Wohnung in der Sophie-Charlotte-Straße.